Kein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch bei "neuer" Erkrankung während gegebener Arbeitsunfähigkeit

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steht dann kein erneuter Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gem. § 3 Abs. 1 EFZG über den sechswöchigen Fortzahlungszeitraum hinaus zu, wenn sie während des Zeitraums bestehender Arbeitsunfähigkeit eine "neue" Erkrankung erleiden und infolgedessen länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind. Diese ständige Rechtsprechung begründet das BAG mit dem sogenannten, erstmals mit Urteil aus dem Jahre 1967 aufgestellten "Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls", wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer einer durch mehrere Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die gesetzlich gewährte Sechs-Wochen-Frist der Entgeltfortzahlung nur einmal in Anspruch nehmen können. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch, so die Rechtsprechung, entstehe nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt.

Der fünfte Senat hat diese Rechtsprechung mit Urteil 11.12.2019 (Az. 5 AZR 505/18) erneut bestätigt und dabei die Einzelheiten der Darlegungs- und Beweislast von Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nochmals präzisiert.

Beendigung der Ersterkrankung?

Anlass zu dem Revisionsurteil gab ein Rechtsstreit zwischen der als Pflegefachkraft beschäftigten Klägerin und der beklagten Arbeitgeberin. Die Klägerin war infolge eines psychischen Leidens seit Anfang Februar des Jahres 2017 über den Zeitraum von sechs Wochen hinaus arbeitsunfähig erkrankt und hatte daran anschließend aufgrund einer Folgebescheinigung, in welcher der Hausarzt eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich dem 18. Mai 2017 attestierte, Krankengeld bezogen. Nachdem der Klägerin am 18.05.2017 durch ihre niedergelassene Frauenärztin Arbeitsunfähigkeit ab dem 19.05.2019 im Wege einer neuen „Erstbescheinigung“ attestiert wurde, und die Klägerin sich am 19.05.2017 wegen einer Gebärmuttersenkung einer seit längerem geplanten Operation unterzogen hatte, verweigerte die Arbeitgeberin in der Folge die Fortzahlung des Arbeitsentgelts.

Das BAG hat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die Ersterkrankung der Klägerin beendet war. Die Darlegungs- und Beweislast für die Beendigung der "Ersterkrankung", hier das psychische Leiden, sah der Senat bei der Klägerin. Der Arbeitnehmer sei nämlich darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine bisherige Erkrankung bei Eintritt der mit neuer Erstbescheinigung attestierten Arbeitsverhinderung keine Arbeitsunfähigkeit mehr ausgelöst habe. Dies gelte, so das Urteil, auch dann, wenn sich an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen habe und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlange.

Beweiswert des ärztlichen Attests sei erschüttert

Der Arbeitnehmer könne sich zwar grundsätzlich auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Bringe der Arbeitgeber jedoch gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen, hinsichtlich derer dem Arbeitnehmer jeweils Arbeitsunfähigkeit attestiert worden ist, überschnitten, so sei der Beweiswert der dem Arbeitnehmer hinsichtlich der „neuen“ Krankheit ausgestellten „Erstbescheinigung“ erschüttert. Ein solches "gewichtiges Indiz" erblickt das BAG in einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer "weiteren" Arbeitsunfähigkeit", die durch eine weitere "Erstbescheinigung" attestiert wird. Einen solchen zeitlichen Zusammenhang sieht der Senat konkret als gegeben an, wenn

  • die jeweils bescheinigten Zeiträume - wie es in dem konkreten Rechtsstreit der Fall war - der Arbeitsverhinderung unmittelbar aneinander anschließen oder
  • zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder
  • ein arbeitsfreies Wochenende

liegt.

Das BAG bestätigte im Ergebnis die klageabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts. Der Klägerin war durch die Aussage der behandelnden Ärzte nicht der Beweis gelungen, dass das anfängliche psychische Leiden vor Eintritt der "neuen" Erkrankung bereits beendet war.

Andere Grundsätze beim Streit um "Fortsetzungserkrankungen"

Voneinander zu unterscheiden sind die dargestellten Konstellationen der "Einheit des Verhinderungsfalles" von Fällen, in denen das Vorliegen einer "Fortsetzungserkrankung" in Streit steht. Ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer zwischenzeitlich wieder arbeitsfähig und liegt ein einheitlicher Verhinderungsgrund demnach nicht vor, so kann eine erneute Erkrankung sich als eine „Fortsetzung“ der früheren Erkrankung erweisen, weil - trotz verschiedener Krankheitssymptome - die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruht (vgl. BAG 13.07.2005, 5 AZR 389/04; 14.11.1984, 5 AZR 394/82). Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 1 S.2 2 EFZG nur dann zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2).

Da dieser Ausschluss des Anspruchs ein dem Arbeitgeber günstiger Ausnahmetatbestand ist, trägt dieser grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer solchen „Fortsetzungserkrankung“. Allerdings muss der Arbeitnehmer im Rahmen seiner sogenannten „sekundären Darlegungslast“ vortragen die Umstände vortragen, aus denen sich ergibt, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und ist im Streitfall sogar gehalten, die behandelnden Ärzte zum Zwecke der Beweisführung des Arbeitgebers von ihrer Schweigepflicht zu entbinden (vgl. BAG, Urteil 11.12.2019 (Az. 5 AZR 505/18)).

Kay Uwe Erdmann, Rechtsanwalt

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